Die Vererbung unserer Hunde

 

Für jeden Züchter und jeden, der es werden will, stellt sich die Frage: Welcher Rüde paßt zu meiner Hündin?

Mancher denkt vielleicht: Meine Hündin hat da oder dort ein paar Fehler, wenn ich nun einen ganz leistungsstarken Rüden aussuche, wird der das schon ausgleichen. Oder für eine recht kleine Hündin wird ein besonders großer Rüde ausgesucht, um bei den Nachkommen eine mittlere Größe zu bekommen. Die Nachkommen einer hochprämierten Hündin müßten dann allesamt Superhunde sein!

So einfach ist die Sache nicht. Manchmal werden sich in der ersten Generation solche Wünsche erfüllen. Doch bereits wenn mit diesen Hunden weiter gezüchtet wird, können wieder Mängel in Erscheinung treten. Wir können versuchen, diese durch gezielte Zuchtmethoden zu beseitigen. Es können jedoch nicht mehrere Fehler gleichzeitig ausgemerzt werden, den ganz perfekten Hund ohne jeden Fehler werden wir nicht züchten können.
Bei der Vererbung spielen sich sehr komplizierte Vorgänge ab, über die sich die Forscher auch heute noch teilweise nicht einig sind. Ich möchte versuchen, für den interessierten Hundebesitzer wenigstens einige grundlegende Dinge so einfach wie möglich zu erklären.

Immer ist die Rede von "Blutlinien". Dieses Wort ist nun sehr irreführend und früher glaubte man wohl auch, daß das Blut der Träger für die Vererbung ist. Weil sich zwei Flüssigkeiten zu einer neuen dritten Flüssigkeit mischen lassen, kam es unweigerlich zu völlig falschen Vorstellungen über die Weitergabe des Erbgutes. Man sprach von einer Viertel großmütterlichen oder großväterlichen Blutes, einem Sechzehntel urgroßmütterlichen oder urgroßväterlichen Blutes und baute damit ganze Zuchtlinien auf, von denen man sich aber ganz falsche Vorstellungen machte. Heute weiß jeder, daß die Gene die Träger der Erbanlagen sind. Diese vermischen sich aber nicht wie Flüssigkeiten, sondern wie schwarze und weiße Kugeln. Wir können diese mischen und teilen wie wir wollen, es werden immer schwarze und weiße Kugeln bleiben und niemals graue dabei herauskommen.
Die Gene sind gruppenweise angeordnet und sehen meist wie Perlenschnüre aus. Diese Schnüre nennt man Chromosomen. Die Chromosomen befinden sich paarweise in den Körperzellen. Der Hund besitzt 39 Chromosomenpaare. Bei der Bildung der Geschlechtszellen teilen sich die Paare, so daß jede Samen- und jede Eizelle nur die Hälfte des Chromosomenpaares erhält. Bei der Vereinigung einer Samen- mit einer Eizelle ist dann die ursprüngliche Zahl von 78 Chromosomen, also 39 Paare, wieder vorhanden. Auf diese Weise erhält jeder Welpe von jedem Elternteil den halben Satz eines Chromosomenpaares. Die andere Hälfte wird nicht weitergegeben.


Da die Gene auf den Chromosomen ganz unterschiedlich angeordnet sind, gibt es die vielfältigsten Kombinationsmöglichkeiten. Bei manchen Anlagen glaubt man zu wissen, wie sie sich vererben, bei anderen ist der Vererbungsmodus noch völlig ungeklärt. Sicher ist er bei den Geschlechtschromosomen. Weibliche Tiere besitzen ein XX-Chromosomenpaar; männliche haben die Kombination XY, da das zweite Chromosom eine y-ähnliche Gestalt hat. Bei der Teilung der Paare enthält die Eizelle immer ein X-Chromosom, bei der Samenzelle ist es dem Zufall überlassen, ob sie ein X- oder ein Y-Chromosom enthält. Beim Zusammentreffen von Ei- und Samenzelle ergeben sich dann wieder die Kombinationen XX (weiblich) oder XY (männlich).
Manche Gene verhalten sich dominant gegenüber anderen und treten dadurch in Erscheinung. Andere werden verdeckt weitergegeben und kommen erst zum Vorschein, wenn sie mit einem gleichen Gen zusammen treffen. Wir wundern uns manchmal, woher Zahnfehler, Kryptorchismus oder andere Fehler kommen, war doch bei den Vorfahren nichts derartiges bekannt. Verdeckt sind die Erbanlagen dafür immer vorhanden gewesen, aber erst bei der Paarung mit einem Partner, bei dem die gleichen Erbanlagen verdeckt vorhanden sind, werden sie sichtbar. Es sind also immer die Gene, welche die sichtbaren oder verdeckten Erbanlagen weitergeben. Erworbene Eigenschaften, die besten Abrichtungs- und Prüfungsergebnisse und die hervorragendsten Leistungen in der Praxis können nicht vererbt werden. Wohl aber sagen sie etwas darüber aus, ob das nötige Lernvermögen und das ausgeglichene Wesen vorhanden sind, welches die Hunde zu solchen Leistungen befähigt.
Deshalb sind die Anlagenprüfungen oft aussagekräftiger als eine VGP, sofern die Anlagen entwickelt, aber noch nicht von der Abrichtung überdeckt sind. Das soll den Wert der VGP keinesfalls schmälern, denn nur ein Hund mit guten Anlagen und entsprechendem Wesen ist in der Lage, bei entsprechender Abrichtung Höchstleistungen zu erbringen. Ein geschickter Abrichter kann aber auch manchen Fehler, der für die Zucht nicht wünschenswert ist, überdecken.
Es kann auch vorkommen, daß ein anerzogener Fehler der Mutterhündin zwar nicht vererbt, aber in der Prägungsphase von den Welpen übernommen wird. Das bedeutet, daß der Mutterhündin eine zumindest gleichwertige Bedeutung wie dem Rüden zukommt.
Die Hälfte aller Gene von Rüde und Hündin wird also nicht an die Nachkommen weitergegeben. Da das aber bei der Trennung der Chromosomenpaare nicht immer die gleichen sind, sondern bei jeder Vereinigung von Samen- und Eizelle eine ganz zufällige Mischung entsteht, können auch Geschwister ganz unterschiedliche Anlagen geerbt haben. Diese können um so unterschiedlicher sein, je mehr verschiedene Gene zur Auswahl stehen, also je weniger die Elterntiere miteinander verwandt sind.


Das bedeutet, daß schon in der 3. Generation ein ganz wesentlicher Teil des Erbgutes der Großeltern verlorengegangen ist. Man kann unmöglich feststellen, welche Erbanteile der Großmutter oder des Großvaters ein Welpe erhalten hat, es sei denn, es handelt sich um ganz auffällige Merkmale, welcher nur dieser besessen hat.
Wenn nun zum Beispiel bei den Urgroßeltern eines Hundes statt 8 verschiedener Namen nur 6 oder 7 verschiedene Namen stehen, weil die Eltern die gleichen Vorfahren haben, bezeichnet man das als Ahnenschwund. Der Ahnenschwund ist um so größer, je enger die Tiere miteinander verwandt sind. Je größer der Ahnenschwund, um so gleichmäßiger wird die Vererbung sein, da die möglichen Genkombinationen nicht mehr so vielfältig sind wie bei nicht verwandten Tieren.
Wenn eine Rasse von Generation zu Generation immer mehr in Inzucht gerät, kann Reinerbigkeit entstehen. Es kommen keine neuen Gene hinzu wie bei der Fremdzucht.


Bei Fremdzucht sind die Elterntiere nicht miteinander verwandt. Die Möglichkeiten der Genkombinationen sind sehr vielfältig und völlig dem Zufall überlassen. Auch bei Wiederholungswürfen können völlig verschiedene Anlagen vererbt werden.
Als Linienzucht wird bezeichnet, wenn die Zuchtpaare aus der näheren oder weiteren Verwandtschaft ausgesucht werden. Bei verwandten Tieren werden zumindest ein Teil der Gene die gleichen sein. Die Möglichkeiten der Genkombinationen sind dadurch nicht so groß wie bei der Fremdzucht. Man erhofft, dadurch eine etwas gleichmäßigere Vererbung zu erreichen.


Zwischen Linienzucht und Inzucht gibt es keine strengen Grenzen. Inzucht ist die Paarung nahe verwandter Tiere. Sie bewirkt eine Aufspaltung der gemischten Erbanlagen. Die ungleichen Genpaare werden zugunsten gleicher reduziert. Das bedeutet, daß bestimmte Eigenschaften, sowohl positiv als auch negativ, die bei Fremdzucht an etwa 1% der Nachkommen weitergegeben werden, bei Halbgeschwisterpaarungen bei etwa 12,5% der Nachkommen sichtbar werden können. Diesen Prozentsatz bezeichnet man als den Inzuchtkoeffizienten.
Wenn also 12,5% der Nachkommen aus einer Halbgeschwisterpaarung einen bestimmten Fehler aufweisen, kann man annehmen, daß die anderen Nachkommen das Gen für diesen Fehler nicht besitzen und ihrerseits ihre positiven Eigenschaften weitervererben, da die negativen auch verdeckt nicht mehr vorhanden sind.
Bei Inzestzucht (also Mutter/Sohn-, Vater/Tochter- oder Vollgeschwisterpaarung) beträgt der Inzuchtkoeffizient 25%. Das heißt, bei etwa 25% der Nachkommen können bis jetzt nicht sichtbare Fehler ans Tageslicht kommen. Man muß aber betonen, daß keine neuen Fehler hinzu kommen. Nur die bereits vorhandenen werden sichtbar gemacht.


Es ist der schnellste und einzige Weg, aus einer Zucht gravierende Fehler auszumerzen. Nur durch enge Inzucht oder Inzestzucht können die vorhandenen Fehler sichtbar gemacht werden. Die fehlerhaften Nachkommen dürfen für die Zucht nicht weiterverwendet werden, was nicht bedeutet, daß sie für die Jagd völlig unbrauchbar wären.


Inzucht und Inzestzucht häuft die guten und die schlechten Eigenschaften der Ausgangstiere. Nur mit den guten Hunden darf weitergezüchtet werden. Diese werden dann ihre guten Eigenschaften weitervererben.